Tschüss, Timo – (Teil 6 mit Danny Heister): „Timos Sinn für Teamspirit ist ein Faktor für viele Titel“

Tschüss, Timo – (Teil 6 mit Danny Heister):  „Timos Sinn für Teamspirit ist ein Faktor für viele Titel“

Deutschlands Topstar Timo Boll absolviert mit Borussia Düsseldorf seit Saisonbeginn seine angekündigte Abschiedstour durch die Tischtennis Bundesliga (TTBL). An dieser Stelle formulieren in regelmäßigen Abständen wichtige Wegbegleiter Gedanken und Erinnerungen an den erfolgreichsten Spieler in der Bundesliga-Geschichte und seine unvergleichliche Laufbahn. Im sechsten Teil unserer Serie „Tschüss, Timo“ blickt Danny Heister, der mit Boll zunächst als Teamkollege beim TTV Gönnern und später als Trainer bei Borussia Düsseldorf Erfolge feierte, auf gemeinsame Zeiten zurück.

„Ich gehöre sicherlich zu den wenigen Personen, mit denen Timo in seiner großartigen Karriere die meiste Zeit in einer echten Arbeitsbeziehung verbracht hat. Wir haben uns 1996 kennengelernt, als ich zu seinem Klub TTV Gönnern gewechselt bin. Nach sieben Jahre bin ich damals noch als Spieler sozusagen zu Borussia Düsseldorf vorausgegangen, doch als Timo 2007 auch nach Düsseldorf wechselte, war ich gerade in meine niederländische Heimat zurückgekehrt. Seit ich allerdings 2010 das Trainer-Amt bei der Borussia übernommen habe, sind wir wieder gegenseitige Weggefährten - bis heute. Zusammenfassend kann ich direkt am Anfang sagen, dass ich zunächst sowohl Timos Weg vom 15-jährigen Bub bis zur Nummer eins der Welt als auch später seine Entwicklung zu einem echten Idol mit einer außerordentlichen Persönlichkeit aus nächster Nähe miterleben konnte. Irgendwie war ich immer dabei.

Die gemeinsame Zeit hat auch immer viel Spaß gemacht. Dabei konnte ich Timo auch immer besser als Mensch kennenlernen. Er ist ein sehr respektvoller Mensch, aber er ist vor allem unglaublich bodenständig. Schon als er noch sehr jung war, ist mir aufgefallen, dass er einerseits selbst nach einem wirklich großen Sieg nicht abgehoben war und sich andererseits von einer Niederlage kaum nach unten ziehen ließ. Er hat das alles mental immer sehr eindrucksvoll und schnell eingeordnet.

In Gönnern, eigentlich ja Höchst, habe ich ja wegen meiner Ambitionen auf eine spätere Trainer-Laufbahn mit zehn Jahren Altersunterschied als einer Art Verbindungsmann zwischen Timo und meinen noch älteren Teamkollegen wie Xu Zengcai oder Slobodan Grujic oder unserem damaligen Trainer Helmut Hampl gewirkt. Dabei habe ich auch immer gerne eine wenig gereizt, sei es im Training oder in unserer Freizeit. Da wurde gefrotzelt, aber manchmal hat es auch gekracht, wozu auch beigetragen haben dürfte, dass ich bekanntermaßen mit Witzen nicht aufhören kann, wenn es mal angefangen hat. 

Timo pflegt sein Verhältnis zu den Fans

Im Training habe ich ihn immer gefordert, indem ich nie einen Punkt aufgegeben habe und immer wieder geblockt habe. Ich habe schon einige Male erzählt, dass Timo wegen mir da einmal fast am Boden gelegen und den Tränen nahe war und nach Helmut Hampl gerufen hatte, weil ich am Tisch ja angeblich so gemein zu ihm gewesen wäre.

Augenfällig war auch schon immer für alle seine Freundlichkeit. Beispielsweise hat Timo von Anfang an, also schon als Schüler, der er bei uns im ersten Jahr in Gönnern noch gewesen war, schon genauso wirklich jedem ein Autogramm gegeben, der eines haben wollte - und das macht er ja noch bis heute so und wird er wohl auch nicht mehr ändern. Da gibt es wirklich Spieler, die ganz anders mit weniger Fans umgehen und nur schnell ihre Ruhe haben wollen. Timo aber sind seine Fans sehr wichtig, deswegen pflegt er das Verhältnis zu ihnen auch so, deswegen spielt er ja auch dieses Jahr fast alle Spiele, weil er die Fans nicht enttäuschen will. Er kennt ja auch meine Frau und unsere Kinder, und auch sie alle sagen, dass Timo eine unglaublich nette Persönlichkeit ist.

Während unserer Zeit in Gönnern hat er ja auch seine heutige Frau Deli kennengelernt. Ich würde nicht sagen, dass ich die beiden direkt miteinander verkuppelt hätte, aber in meiner damals viel häufiger noch verrückten Art habe ich meiner Erinnerung nach schon etwas dazu beigetragen, dass sich zwischen Deli und Timo trotz seiner etwas schüchternen und introvertierten Art ein Kontakt anbahnte.

Lustig in dieser Zeit ist außerdem auf jeden Fall gewesen, dass Helmut Hampl und ich nach dem Training immer noch einen Kaffee getrunken haben und Timo dann immer ganz angewidert schimpfte, dass es so sehr stinken würde - und heute ist Timo selbst ein leidenschaftlicher Barista und Kaffeegenießer.

Sportlich ist Timo abgesehen vom reinen Tischtennis an sich immer wichtig gewesen, dass es in der Mannschaft stimmt. Dafür hat er selbst auch immer viel getan und für diese Mannschaften auch immer gekämpft, er hat - obwohl wir auch mal Titel geholt haben ohne einen Punkt von ihm - immer auch Verantwortung übernommen und getragen. Dass Timo Wertschätzung und Sinn für eine funktionierende Mannschaft und Teamspirit hat, ist sicher auch ein wichtiger Faktor dafür, dass wir mit Borussia so viele Titel gewonnen haben. Er ist ein guter Typ, einer, der keinen Stress mag, also haben wir dafür gesorgt, dass es drumherum immer möglichst wenig Stress gab.

Mentale Stärke und unheimlich viel Intuition

Charakteristisch für Timo ist außerdem vor allem, dass er immer das Beste aus sich herausholen will. Selbst im Training, als er schon älter geworden war und nicht mehr so viel trainiert hat, hat er immer jeden Punkt zu Ende gespielt, nie einen Ball durchgelassen. Er ist immer voll fokussiert, wovon die anderen Spieler viel lernen konnten. Eine Karriere wie Timos kommt nicht nur durch Talent und ein Händchen zustande, wenn man nicht auch bereit ist, sich zu quälen und Enttäuschungen zu verkraften. Zu seinen herausragenden Leistungen gehört auch, sich in den vielen Jahren immer wieder auf neue Bedingungen wie die neue Zählweise bis zum elften Punkt, den 40-mm-Ball  oder das Klebeverbot umgestellt zu haben.

Eine seiner wichtigsten Eigenschaften ist seine mentale Stärke, er ist auch unter Druck eigentlich nie richtig untergegangen - auch weil er sehr gut wirklich von Punkt zu Punkt spielen kann. Dazu trägt als Hilfsmittel auch die regelmäßige Refokussierung bei seinem schon rituellen Blick in die Ferne bei, wenn er als planerischer Mensch visualisiert. Aber er hat immer schon noch einiges mehr aus sich selbst herausgeholt, dazu gehört auch die Wahrnehmung seiner Wettkampfumgebung mit allen Sinnen anstelle der oft zu sehenden Aufpushung etwa durch laute Musik auf den Ohren.

Als Spieler spiegelt er seine Persönlichkeit als introvertierter Mensch und Planer wider. Ich habe mich als Trainer auch tiefer mit dieser Persönlichkeit befasst, wobei interessante Erkenntnisse zu gewinnen sind, etwa, dass er mit unheimlich viel Intuition spielt, seine Abläufe braucht und dann auch sehr strukturiert spielen kann. Für einen Coach wie mich ist auch sehr wichtig und schön, dass er immer versucht hat, jeden Tipp irgendwie zu nutzen und auszuprobieren. Auch dafür gibt es genügend Spieler auf seinem Niveau, die glauben, das nicht mehr nötig zu haben. Das machte in den vielen Jahren bis in die momentan letzten Wochen die Arbeit mit Timo immer schön.

Stolz auf die gemeinsame Jahre

Wenn Timo nun bald aufhört, wird uns viel fehlen. Er ist eine Größe für unseren Verein, für das Tischtennis insgesamt und wird deswegen eine entsprechende Lücke hinterlassen. Sein Abschied wird für alle, die nahe dabei gewesen sind, sehr emotional werden.

Besonders in Erinnerung ist mir aber eine bestimmte Unterhaltung geblieben. Vor vier oder fünf Jahren hatte Timo einmal keinen Trainingspartner finden können, weshalb ich dann für ein paar Tage nach Höchst zum Training gefahren. Als wir nach einem Abend noch zusammen in der Sauna saßen, ließen wir unsere Gedanken etwas schweifen, und Timo sagte dann auf einmal, dass wohl keiner von uns 1996 gedacht hätte, wie alles seinen Lauf genommen hat. Das war schön.

Viele seiner Mitspieler sagen in diesen Tagen, dass sie stolz auf die gemeinsamen Zeiten mit Timo sind. Ich bin auch stolz auf diese Jahre mit ihm und froh, diesen feinen Menschen so nah erlebt zu haben.“

*Danny Heister und Timo Boll verbinden mehrere gemeinsame Erfolge einerseits als Mannschaftskameraden von 1996 bis 2003 beim TTV Gönnern und andererseits seit 2010 in einem Trainer-Spieler-Verhältnis bei Borussia Düsseldorf. Mit Gönnern gewannen beide 1998 und 2002 den DTTB-Pokal und erreichten 2001 sowie 2002 auch die Bundesliga-Endspiele um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft. In ihre gemeinsame Düsseldorfer Zeit fallen bislang 24 Titelgewinne oder drei Champions-League-Siege, ein ETTU-Pokal-Sieg, elf deutsche Mannschaftsmeisterschaften und neun Pokalsiege.

Aufgezeichnet von Florian Manzke