Tschüss, Timo – (Teil 5 mit Christian Süß): „Timo hat jeden anderen noch besser gemacht“

Tschüss, Timo – (Teil 5 mit Christian Süß):  „Timo hat jeden anderen noch besser gemacht“

Deutschlands Topstar Timo Boll absolviert mit Borussia Düsseldorf seit Saisonbeginn seine angekündigte Abschiedstour durch die Tischtennis Bundesliga (TTBL). An dieser Stelle formulieren in regelmäßigen Abständen wichtige Wegbegleiter Gedanken und Erinnerungen an den erfolgreichsten Spieler in der Bundesliga-Geschichte und seine unvergleichliche Laufbahn. Im fünften Teil unserer Serie „Tschüss, Timo“ blickt Christian Süß, der an Bolls Seite durch Erfolge bei Olympischen Spielen, WM- und EM-Turnieren, DM-Events und mit Borussia Düsseldorf selbst zu einem der meist- und höchstdekorierten Spieler der deutschen Tischtennis-Historie* avancierte, auf gemeinsame Zeiten zurück.

„Es ist ja bekannt, welch ein charakterlich feiner Kerl, lieber Mensch und fairer Sportsmann Timo ist. Er hatte ja auch schon immer etwas vom ‚Typ Traum-Schwiegersohn‘. 

Für mich hat es sich in den vielen Jahren mit ihm immer so angefühlt, dass er jeden Spieler in seiner Umgebung mitgezogen, genau genommen sogar jeden auch noch besser gemacht hat. Er hat das Training mit uns anderen, so habe ich das jedenfalls immer wahrgenommen, auch nie als Konkurrenzsituation gesehen. Im Gegenteil: Timo hat sich immer ehrlich gefreut, wenn andere Fortschritte gemacht und gut gespielt haben, nach vorne gekommen sind. Das war auch ein weiterer Zug von ihm, wobei ich glaube, dass es ihm so gar nicht bewusst gewesen ist, es war eben einfach nur seine Art.

Dadurch hat man auch in der Mannschaft immer ein sehr gutes Gefühl mit ihm gehabt. Es hat natürlich immer Sicherheit gegeben, einen Timo Boll in seiner Mannschaft zu haben, weil er in der Regel eher ein bis zwei Punkte gewinnt als zwei verliert. Das kann generell auf Mitspieler auch belastend wirken und möglicherweise auch zu Druck führen, dass man nicht so gut performt. Aber das ist in seiner Gegenwart eigentlich nie vorgekommen, vielmehr bestand da immer ein gutes Gefühl.

Außergewöhnliches Gespür für Tischtennis

Als Timo 2007 zu uns bei Borussia Düsseldorf wechselte, war das super, und ich habe mich mega darüber gefreut. Natürlich auch, weil er uns als Mannschaft und Verein brutal stark gemacht hat. Es gab aber intern auch nie irgendwelche Hierarchieprobleme, die Rollen waren klar verteilt, was die vielen Erfolge in diesen Jahren und in diesem Ausmaß vielleicht auch überhaupt erst möglich gemacht hat und die für mich unvergesslich geworden sind.

Zu Timos besonderem Talent gehörte auch immer, mit wahnsinnig wenig Vorbereitung große Turnier zu spielen. Ob er vorher verletzt oder krank war – Timo hat sich dann immer von Runde zu Runde gesteigert und dann im Finale sein bestes Spiel gemacht. Das ist der Idealfall, in der Regel aber nach einer längeren und gezielten Vorbereitung und manch kniffligen Spielen in den ersten Runden, aber er konnte das praktisch aus dem Stand wie kein anderer, um dann ein paar Mal im Finale wie ein junger Gott zu spielen, obwohl er noch kurze Zeit vorher ‚völlig im Eimer‘ gewesen war. Aus Sicht eines Sportlers ist genau das echtes Können und ein richtig großes Talent, dazu - anders als praktisch alle anderen - in der Lage zu sein. Sein außergewöhnliches Gespür für Tischtennis ohne eine größere Vorbereitung ist sicherlich auch ein wichtiger Faktor, dass Timo so lange bis in sein jetziges Alter auf hohem Niveau spielen konnte.

Gemeinsame Erfolge bei WM und Olympischen Spielen

In besonderer Erinnerung ist mir natürlich die WM 2005 in Shanghai geblieben. Mir ist unser Doppel-Turnier und das Finale noch sehr präsent: Unser Sieg im Halbfinale gegen Ma Lin/Chen Q vor 10.000, 12.000 fanatischen Zuschauern ist für mich erst eines der schönsten Spiele meiner ganzen Karriere überhaupt gewesen, und dann kam seine brutal fiebrige Erkrankung in der Nacht vor dem WM-Finale, von der ich beim Frühstück erfahren habe. Als ich danach bei ihm im Zimmer war, ist mir schnell klar geworden, dass es mit Gold am Abend nichts werden würde, was sicher unsagbar schade war, aber trotzdem bleibt diese WM für mich durch unsere tollen Spiele ein großartiges Erlebnis, wozu letztlich im Rückblick auch Timos Fairplay im Einzel-Achtelfinale gegen Liu Guozheng gehört, als er im siebten Satz bei eigenem Matchball einen Kantenball von Liu anzeigt, aber kurz danach trotz eines wiederum grandiosen Turniers verliert. Wir waren wohl beide in einer Art Tunnel und Flow, wodurch sein Einzel-Aus für Timo umso bitterer war, denn es hätte bei einem Sieg bestimmt noch sehr, sehr weit gehen können. Das alles habe ich nie vergessen.

Auch an die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mit der Mannschaft denke ich sehr gerne zurück. Es war ein Mega-Highlight für mich, einerseits weil es ja meine einzigen Spiele waren, andererseits auch wegen des entscheidenden Punktes zur Medaille durch Timo im Halbfinale gegen Japan, nach dem wir in die Box gestürmt und einfach nur auf Timo gefallen sind. Das grandios, und wir haben nach dem Finale auch eine richtig geile Feier gehabt - erst im Olympischen Dorf, und dann sind wir noch mit den Handballern in einen Klub gezogen, wo Timo dann völlig eskaliert ist, wie man ihn eigentlich nicht so kennt.

Ähnlich großartig war ein Jahr später unsere Feier nach unserem ersten gemeinsamen Champions-League-Sieg gegen die TTF Liebherr Ochsenhausen, als wir nach einem verlorenen Hinspiel in Ochsenhausen 3:0 gewonnen haben und denen die schon fest geplante Party gecrasht haben. Das war wirklich auch ein sehr schöner Moment in unserer gemeinsamen Zeit.

Wiedersehen im vergangenen Sommer

Wir hatten aber auch abseits des Tischtennis privat viele schöne Augenblicke gemeinsam, sind öfter gemeinsam essen gegangen, hatten aber auch noch als Hundeliebhaber eine zusätzliche Verbindung über Tischtennis hinaus. Gleiches gilt für das Golfspiel, das wir auch beide sehr mögen, weshalb wir auch einige Mal zusammen Runden gespielt haben. Ich erinnere mich auch noch daran, dass wir auch zum Fußball gegangen sind – er als Fan von Borussia Dortmund und ich als Anhänger von Schalke 04. Das gab damals auch immer reichlich Stoff für gegenseitige Frotzeleien. Man kann schon sagen, dass wir uns gut miteinander verstanden haben. Leider haben wir uns in den vergangenen Jahren nicht mehr so oft gesehen, aber umso mehr habe ich mich vergangenen Sommer gefreut, dass wir uns auf einer Geburtstagsfeier in Düsseldorf wiedergesehen haben, uns Geschichten von früher erzählt haben und uns auch einig waren, dass wir uns leider nur noch zu selten sehen.

Insgesamt war die Zeit mit Timo für mich eine unglaubliche Bereicherung und ein Erlebnis, ein Teil seiner Karriere zu sein, wie er natürlich großer Teil meiner Laufbahn gewesen ist. Diesen gemeinsamen Weg kann ich eigentlich nur als einmalig und großartig bezeichnen. Ohne Timo wären die Erfolge, die ich international und bei Borussia feiern konnte, gar nicht möglich gewesen. Ich kann es nur nochmal sagen: Dieser Abschnitt mit Timo war ein tolles Erlebnis.“

*Christian Süß und Timo Boll verbinden zahlreiche gemeinsame Erfolge auf unterschiedlichen Ebenen. Ein kleiner Auszug: Olympia-Silber 2008 (Mannschaft), WM-Silber 2005 im Doppel, dreimal WM-Silber mit der Mannschaft und einmal WM-Bronze mit der Mannschaft, jeweils viermal EM-Gold im Doppel und mit der Mannschaft, zweimal Pro-Tour-Grand-Finals-Sieger, vier Pro-Tour-Titel, zweimal deutscher Meister im Doppel, dreimal Champions-League-Sieger mit Borussia Düsseldorf, einmal ETTU-Cup-Gewinner mit Düsseldorf sowie sechsmal deutscher Mannschaftsmeister mit Düsseldorf und fünfmal Pokalsieger mit Düsseldorf.

Aufgezeichnet von Florian Manzke