Timo sagt Tschüss: "Ich war, bin und bleibe ein Kind der Bundesliga"

Die unvergleichliche „Ära Timo Boll“ gehört seit erst wenigen Tagen endgültig der Vergangenheit an. Im Rahmen einer zehn Monate währenden Tour mit Borussia Düsseldorf durch nahezu alle Arenen der Tischtennis Bundesliga (TTBL) hat sich das deutsche Idol von seinen Fans in ganz Deutschland verabschiedet und abschließend Mitte Juni im Liebherr TTBL Finale seine beispiellose Profi-Laufbahn nach fast 30 Jahren unwiderruflich beendet. In dieser Zeit kamen an dieser Stelle regelmäßig wichtige Wegbegleiter von Timo Boll mit persönlichen Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse mit dem früheren Weltranglistenersten und Gedanken über den Menschen Timo Boll zu Wort.
Unmittelbar vor Ablauf seines Vertrags in Düsseldorf und damit seinem letzten offiziellen Tag als Profi sagt Timo Boll selbst „Tschüss“ und berichtet damit über die Emotionen des zurückliegenden Jahres, die Zuneigung seiner Fans und auch die Perspektiven der TTBL.
„Hallo, liebe Fans überall, wo Ihr die nächsten Zeilen lest. Nur allzu gerne möchte ich mich kurz vor dem nun auch kalendarischen Ende meiner Karriere am 30. Juni an dieser Stelle bei Euch bedanken und noch einmal ‚Tschüss‘ sagen. Es gibt nur wenige so geeignete Plätze dafür wie bei der Tischtennis Bundesliga, durch die ich mich entwickelt habe, groß geworden bin und die mir immer meine wichtige sportliche Heimat gewesen ist. Ohne die TTBL wäre meine Laufbahn sicherlich anders verlaufen. Dafür möchte ich auch einmal allen ‚Danke‘ sagen, die über die vielen Jahre die TTBL zu einer erfolgreicheren Profiliga gemacht haben.
Aber vor allem möchte ich mich noch einmal an Euch Fans wenden. In den Tagen nach meinem Abschiedsspiel im Liebherr TTBL Finale habe ich erst einmal wirklich gemerkt, dass die letzten Wochen und Monate ganz schön emotional und anstrengend gewesen sind. Umso mehr aber habe ich nun in den ersten Tagen danach auch genossen, einfach auch einmal nichts zu machen. Zwar habe ich dabei den Tischtennis-Alltag nicht sofort vermisst, aber mich trotzdem ab und zu ertappt, immer noch wie ein aktiver Spieler zu denken, etwa durch ein schlechtes Gewissen beim Eisessen oder durch die Vorsicht beim Heben von Gegenständen, dass ich mir ja nicht irgendwie den Finger quetsche.
Ich denke, es wird auch noch eine Weile brauchen, bis die jahrzehntelange Routine wirklich aus mir raus sein wird und mich auch innerlich an die neue Situation gewöhnt haben werde. Ich merke ja schon, dass mir die Belastungsspitzen, die ich seit Jahrzehnten kannte, noch ein bisschen fehlen. Ich muss mit echt überlegen, wie ich dafür einen Ausgleich finde, der mich in der Hinsicht etwas erfüllt – das Golfspielen war es jetzt noch nicht.
Natürlich aber ist jetzt gerade sehr schön, mehr Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen. Das habe ich den letzten Tagen wirklich sehr genossen.
Genauso selbstverständlich jedoch wandern die Gedanken auch immer wieder noch einmal zurück zu meinem Abschiedsspiel mit seinen starken Emotionen und ebenso zu den vielen bewegenden Momenten in den Spielen davor. Dass dieses letzte Jahr so laufen würde, wie es gelaufen ist, hätte ich mir vor einem Jahr so nicht ausmalen können, auch nicht, dass ich dabei so gut wegkommen, weil alle es mit mir wirklich gut gemeint haben, die Medien und ganz besonders auch Ihr Fans.
Manchmal war es mir beinahe schon unangenehm, aber ich habe mich wirklich jedes einzige Mal über die Zuneigung der Fans sehr gefreut. Dass Ihr nach den Spielen oft bis zu zwei Stunden für ein Autogramm oder Selfie gewartet habt, hat mich emotional wirklich immer sehr ergriffen. Nicht ein einziges Mal habe ich, obwohl sich manche Abläufen oft wiederholt haben, einen Anflug von Abstumpfung empfunden, weil ich nämlich gefühlt habe, dass alle mir auf ihre eigene Weise einen schönen Abschied bereiten wollten. Das waren unglaublich viele schöne Momente, ich werde keinen vergessen.
Als Spieler war es allerdings auch brutal intensiv. Denn einerseits habe ich immer versucht, mein Niveau zu halten, und andererseits hatte ich jedes Mal auch mit meinen Emotionen zu kämpfen. Das war schon anspruchsvoll. Aber davon bleiben wohl am Ende alleine die Emotionen in Erinnerung, die ich noch nie zuvor so stark empfunden habe wie im letzten Jahr. Das lag bestimmt vor allem daran, dass die Fans wohl nicht so sehr auf die Spiele geachtet haben, sondern immer noch ein letztes Mal für viele, viele Jahre, gemeinsame Jahre ‚Danke‘ sagen wollten. Dass ich das immer so erleben durfte – da habe ich in dieser langen Zeit scheinbar nicht alles falsch gemacht.
Umgekehrt habe natürlich auch ich Euch, unseren und meinen Fans ‚Danke‘ zu sagen. Dank für Eure Sympathie und Zuneigung, Eure Unterstützung, durch die ich nochmal einen echten Push bekommen habe, über mich hinauswachsen und so viele Spiele noch umdrehen konnte, Dank für so viele schöne gemeinsame Augenblicke, die man gar nicht beschreiben und noch weniger zählen kann. Dank aber vor allem dafür, dass ich mein Hobby zu meinem Beruf machen durfte: Das wäre, wie eigentlich auch der ganze Tischtennis-Betrieb, ohne Euch überhaupt nicht möglich gewesen.
Weil ich das nie vergessen habe, war mir auch immer wichtig, mir möglichst viel Zeit für die Kontakte mit Euch zu nehmen, um immer wenigstens ein kleines bisschen zurückzugeben, und wenn es nur ein Augenzwinkern, ein netter Blick oder ein Lächeln gewesen ist. Mir hat diese Balance immer sehr viel bedeutet. Ich bin sehr dankbar dafür, diese vielen gemeinsamen Momente erlebt und gefühlt haben zu dürfen, und ich werde, auch wenn ich nie so sehr im Mittelpunkt stehen musste und wollte, auch sicher noch sehr, sehr lange von Euren „Timo, Timo“-Rufen leben und immer gerne daran zurückdenken.
Sicherlich ist auch dadurch umso härter zusagen, man hat nun mit allem abgeschlossen. Aber ich bin auch jetzt noch nach meinem Abschiedsspiel im Reinen mit mir und auch dem Zeitpunkt, zu dem ich nun aufgehört habe. Ich freue mich jetzt auf ein neues Kapitel, doch klar ist dennoch, dass Momente geben wird, in denen man bestimmt ein wenig wehmütig ist oder wird und gerne noch einmal in die gewohnte Routine zurückmöchte. Aber ich habe mir das gut überlegt, und diese Entscheidung hat sich auch in mir verfestigt – deshalb passt es für mich auch.
Aus einer gewissen Entfernung werde ich sicherlich auch das Geschehen in der TTBL und die Entwicklung der Liga verfolgen – nicht mehr hautnah, aber natürlich interessiert. Vereinzelt unken manche in Bezug auf die Zukunftsperspektiven, aber ich mache mir keine Sorgen um die Liga. Man sieht es doch in so vielen Sportarten und anderen Metiers, dass es auch nach dem Ende eines bestimmten Zeitabschnittes immer weiter geht. Auch Tischtennis wird sich weiterentwickeln, es werden neue Gesichter kommen, und dann werde auch ich schnell vergessen sein. Das ist wichtig und richtig, und deswegen muss es auch so sein. Ich bin froh, jetzt aus einer anderen Perspektive auf den Tischtennissport zu schauen und zu helfen. Darauf freue ich mich und bin gespannt, wer jetzt das Zepter übernimmt und wie die Entwicklung im deutschen Tischtennis und in der Liga allgemein sein wird.
Darauf werde ich mit größtem Wohlwollen blicken, denn ich war, bin und bleibe ein Kind der Bundesliga. Ich bin voller Dankbarkeit, dass es diese Liga gegeben hat, in der ausgebildet werden und mich zu dem Sportler entwickeln konnte, der ich geworden bin. Der Rückhalt meiner beiden Vereine TTV Gönnern und Borussia, der Sport in der Mannschaft hat am meisten Spaß gemacht und hat mir besonders zusammen mit Eurer Unterstützung so unendlich viel gegeben. Ich finde immer noch keine passenden Worte für meine tiefe Dankbarkeit, deswegen mache ich es jetzt kurz: Tschüss!“
Aufgezeichnet von Florian Manzke