Olympische Spiele: Spektakulärer Abschied von Dimitrij Ovtcharov aus dem Einzelturnier

Olympische Spiele: Spektakulärer Abschied von Dimitrij Ovtcharov aus dem Einzelturnier

Dimitrij Ovtcharov bleibt nach Bronze in London 2012 und Tokio 2020 bei den Sommerspielen in Paris das dritte olympische Edelmetall im Einzel verwehrt. In der mit 6.400 Zuschauern ausverkauften South Paris Arena 4 musste der ehemalige Weltranglistenerste gegen Frankreichs 17 Jahre alten Superstar Felix Lebrun in einer Achtelfinalbegegnung auf höchstem Niveau eine hauchdünne 3:4-Niederlage hinnehmen.

Bei 116 Dezibel: Zinedine Zidane und Henri Leconte feiern Felix Lebrun

Die Bilder kurz nach dem letzten Ballwechsel hätten gegensätzlicher kaum sein können. Während Dimitrij Ovtcharov, mit leerem Blick auf der Bank Platz nehmend, die Enttäuschung über die 9:11, 13:15, 10:12, 11:8, 11:3, 11:8 und 7:11-Niederlage tief ins Gesicht gegraben stand, feierten die französischen Fans - darunter Frankreichs Fußballstar Zinedine Zidane und das ehemalige Tennisass Henri Leconte - in der South Paris Arena 4 ihren Helden Felix Lebrun mit lautstarken Gesängen für dessen Leistung und den Einzug in das Viertelfinale. Die ohrenbetäubende Geräuschkulisse,  schon während des Spiels bereitete Ovtcharov allerdings keine Probleme: „Dass die Halle hinter ihm stand, war kein Problem. Ich war so extrem im Tunnel, dass ich nur meinen Gegner und mein Spiel gesehen habe. Es war laut, aber es war schön. Das hat mich überhaupt nicht abgelenkt.“ Wie laut man sich das Ambiente vorzustellen hat, verrät das politische Magazin 'Le Point' auf seiner Webseite: "Wie man die Atmosphäre beim Matchball beschreiben kann? Wir haben uns den Spaß gemacht, die Dezibelzahl in der Halle zu diesem Zeitpunkt zu messen: 116, also eine Lautstärke, zwischen einem Rockkonzert und einer Formel-1-Rennstrecke."

Spektakulärer Schlagabtausch über sieben Sätze

Der Sieg des aktuell besten Nichtchinesen und Weltranglistenfünften über die ehemalige Nummer eins der Welt hätte spektakulärer kaum zustande können. Lebrun, nach seinem kometenhaften Aufstieg in die Top Ten in seiner Heimat in der medialen Aufmerksamkeit nicht weiter hinter Fußballstar Kilian Mbappé angesiedelt, und der 18 Jahre ältere Ovtcharov schlugen sich in einer ausgeglichenen Partie mit irrwitziger Geschwindigkeit sieben Sätze lang auf höchstem Niveau die Bälle um die Ohren. Zwar nahm zu Beginn Felix Lebrun mit fehlerlosem Tischtennis das Heft des Handelns häufiger in die Hand als sein Gegner, doch gegen Ende kämpfte sich Ovtcharov in jedem Satz zurück. Allein, die ersten drei Spielabschnitte wurde mit jeweils zwei Punkten Unterschied eine Beute des Franzosen. Ovtcharov sagte anschließend: "Ich habe die ersten drei Sätze mit zwei Punkten verloren. Im ersten Satz habe ich ein paar Chancen liegen lassen, mit zwei, drei Punkten in Führung zu gehen, und dann mit 9:11 verloren. Im zweiten Satz hatte ich zwei Satzbälle, wo ich extrem sicher gespielt und gehofft habe, dass ich den Satz irgendwie ziehe."

Ovtcharov: Nach dem zweiten Satz beginnt das Spiel erst richtig 

Doch Spielabschnitt für Spielabschnitt wurde auch spürbar, dass der Deutsche, der sich in Durchgang zwei nach einem 6:10-Rückstand bereits zwei Satzbälle in der Verlängerung erarbeitete, sich besser auf die Aufschläge seines Kontrahenten einstellte und ein um das andere Mal sogar die pfeilschnelle parallele Rückhand des Teenagers zu parieren wusste. Sichtbar wurde die Leistungssteigerung Ovtcharovs auch in Zahlen. Schon im nochmals verlorenen dritten Satz sowie in den drei gewonnenen Folgedurchgängen warf der der World-Cup-Gewinner von 2017 hintereinander mit einem 4:0-, 6:0-, 8:0- und 4:0-Beginn jeweils mit Vehemenz den Fehdehandschuh in Richtung des führenden Lebrun. Aus Sicht von Ovtcharov begann das Spiel erst so richtig nach dem unglücklich mit zwei Satzbällen verlorenen zweiten Durchgang: "Danach habe ich angefangen, wirklich das zu spielen, was ich mir vorgenommen hatte. Vor allem im Rückschlagbereich wurde ich besser. In den ersten beiden Sätzen habe ich gefühlt 80 oder 90 Prozent bei seinem Aufschlag verloren und hatte selbst keinen Riesenvorteil bei meinem Aufschlag. Im Dritten habe ich 5:1 geführt und wieder verloren. Danach ist die Anspannung von mir abgefallen. Ich habe viel besser returniert, auch aus der kurzen Vorhand mit der Vorhand. Dann kamen auch die Rückhand-Rückschläge viel besser und ich habe die langen Aufschläge besser gelesen. So habe ich mehr und mehr Kontrolle über das Spiel gekriegt."

„Wer mit 3:0 führt hat oft ein Problem, das Spiel zuzumachen“

Die spektakuläre, physisch und mental kraftraubende Aufholjagd zum 3:3, die über drei relativ klar gewonnene Sätze sichtlich Eindruck bei dem Franzosen hielt, vermochte der Deutsche im siebten Satz jedoch nicht nahtlos fortzusetzen. Gleichzeitig schien Lebrun den Resetknopf gedrückt zu haben. Er zog schnell mit 6:2 und 8:4 davon, bevor Ovtcharov noch einmal auf 7:8 verkürzte, jedoch vier Punkte in Folge des Franzosen die South Paris Arena 4 endgültig erbeben ließen. Ovtcharov wusste, dass mit dem Ausgleich zum 3:3 nicht unbedingt immer ein psychologischer Vorteil verbunden ist: "Es ist im Tischtennis oft so, dass der, der mit 3:0 führt, dann Schwierigkeiten hat, das Spiel zuzumachen. Im siebten Satz steht dann aber alles wieder auf null. Ich hatte damit gerechnet, dass er wieder gut spielen würde. Den ersten Ball darf ich nicht wegspielen. Danach hat er gut gespielt und im Nachhinein bei 8:7 für ihn war der erste Ball entscheidend.“ Jörg Roßkopf ergänzt: "Felix hat dem Druck standgehalten. Es war stark, wie er auch in den wichtigen Phasen gespielt hat. In den letzten Monaten auf der WTT-Tour hatte Felix schon bewiesen, dass er in wichtigen Phasen gute Sachen spielt."

Dimitrij Ovtcharov: "Am Ende war ich eigentlich etwas besser"

Ovtcharov, der in den Runden zuvor mit seinen klaren Siegen gegen den Mexikaner Marcos Madrid und den Brasilianer Vitor Ishiy bereits seine herausragende Form unter Beweis gestellt hatte, trauerte in dem Achtelfinal-Duell vorentscheidenden Momenten im zweiten sowie im Entscheidungssatz nach: "Im zweiten Satz hatte ich zwei Satzbälle, wo ich extrem sicher gespielt und gehofft habe, dass ich den Satz irgendwie ziehe. Im letzten Satz habe ich im ersten Ballwechsel einen guten Rückschlag gespielt und dann die Rückhand-Eröffnung weg gemacht. So ein Ball tut weh. Es macht einen Unterschied, ob man mit 1:0 führt oder 0:1 zurückliegt. Er wiederum hat einige seiner besten Bälle gespielt, vor allem, als ich noch mal rankam. Bei 8:7 für ihn war es eine Wahnsinnsrallye. Wenn ich die hole, ist alles drin. Ich war am Ende eigentlich ein bisschen besser, aber der Start hing mir echt nach." 

Dimitrij Ovtcharov: "Im Moment bin ich sehr, sehr traurig"

Nach der Niederlage gewährte Ovtcharov einen Einblick in seine Gefühlswelt: "Morgen werde ich sicherlich pausieren. Ich werde mir überlegen, mir vielleicht einen anderen Sport anzuschauen, um einmal auf andere Gedanken zu kommen. Ich habe mit 3:4 gegen einen sehr starken Spieler verloren. Ich bin im Moment natürlich sehr, sehr traurig, denn ich wollte hier wieder eine Medaille holen. Es hat nicht geklappt. Deshalb bin ich sehr enttäuscht. Ich muss mich jetzt ablenken, erholen, auf andere Gedanken kommen und dann mit 120 Prozent ins Team einsteigen."

Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf blieb im Moment der Niederlage analytisch: "Es war ein großes Spiel mit vielen Chancen für Dima. Felix hat die ersten drei Sätze so knapp gewonnen, da hat Dima noch nicht sein bestes Tischtennis gespielt. Er hatte viele Chancen. Vor allem der zweite Satz wäre wichtig gewesen. Im Siebten hatte Dima leider einen schlechten Start. Felix‘ Führung war am Ende mit 5:1 zu hoch. Dima hat da ein, zwei Fehler gemacht, die ihm eigentlich nicht passieren dürfen. Trotzdem: Es war ein Weltklassespiel auf einem richtig hohen Niveau.“


Quelle: Pressemitteilung DTTB
Beitragsbilder: Dimitrij Ovtcharov (Fotos: 
BeLa Sportfoto)