Olympische Spiele: Medaillenträume der DTTB-Herren platzen bei Bolls emotionalem Abschied
Deutschlands Tischtennis-Herren haben nach dem Gewinn von zweimal Silber und zweimal Bronze den fünften Einzug in Folge in ein olympisches Halbfinale verpasst. Der Silbermedaillengewinner von Tokio unterlag vor den Augen des mit Timo Boll befreundeten Basketballstars Dirk Nowitzki sowie des schwedischen Königs Carl Gustaf und Königin Silvia am Dienstagabend im Viertelfinale in einer umkämpften Neuauflage des EM-Endspiels von 2023 Europameister Schweden mit 0:3. Das Ausscheiden Deutschlands setzt gleichzeitig den Schlusspunkt hinter eine einzigartige Tischtenniskarriere: Nach mehr als zweieinhalb Jahrzehnten betrat Timo Boll letztmalig bei den Olympischen Spielen die internationale Tischtennisbühne.
Timo Boll mit Ovationen verabschiedet
Der Jubel der schwedischen Mannschaft über den Halbfinaleinzug ging in der South Paris Arena 4 beinahe unter. Mit Timo-Timo-Rufen verabschiedeten 6.400 Zuschauer aus aller Welt, darunter Deutschlands mit Timo Boll befreundete Basketballikone Dirk Nowitzki, nach dem deutschen Ausscheiden zunächst einmal einen der weltweit besten, kreativsten und beliebtesten Tischtennisspieler aller Zeiten. Ende Mai hatte der ehemalige Weltranglistenerste, zweimalige World-Cup-Sieger, zweimalige WM-Dritte und Rekordeuropameister angekündigt, dass er bei den Olympischen Spielen in Paris letztmalig die internationale Tischtennisbühne betritt. Nach einer weiteren Saison mit seinem Verein Borussia Düsseldorf wird Timo Boll im Jahr 2025 dann auch national einen Schlusspunkt hinter seine Karriere setzen.
Timo Boll: „Bei den Sprechchören hat es mich brutal übermannt“
Timo Boll zeigte sich von den Sprechchören und der Zuneigung der gesamten Halle tief bewegt und schämte sich anschließend seiner Tränen nicht: „Bei den Sprechchören hat es mich brutal übermannt. Auch wenn es natürlich sehr schön war, so viel Feedback vom Publikum zu bekommen. Es war schon hart: Die Enttäuschung direkt nach dem Spiel, ausgeschieden zu sein, mit dem eigenen Spiel nicht ganz zufrieden zu sein und dass sich die harte Arbeit nicht wie erhofft ausgezahlt hat. Auf der anderen Seite war gleich in meinem Kopf, dass mit der Nationalmannschaft jetzt wirklich Schluss ist.“ Die Gemeinschaft Nationalteam wird ihm allerdings auch fehlen: „Ich werde sehr viel vermissen, vor allem das Miteinander in den Mannschaftswettbewerben. Mit Dima war ich 18 Jahre auf internationaler Tour unterwegs. Patrick Franziska war acht Jahre alt, als er bei mir zu Hause im Keller trainiert hat. Ich kenne die Jungs schon so lange. Sie sind wie eine kleine Familie und die verliere ich heute. Daher ist es auch ein bisschen emotional.“
„Das Wohnmobil wird jetzt noch mehr genutzt“
Timo Boll blickte bei seinem Abschied auch ein wenig in die Zukunft: „Wir haben gute Jungs und ich kann jetzt ohne schlechtes Gewissen abtreten. Ich bin froh, dass Patrick nun hineinrutscht. Er hat hier viel mitmachen müssen und hat mir super leidgetan. Er hat es mit sehr viel Achtung und Stolz ertragen. Ich habe großen Respekt vor ihm. Hoffentlich ist er jetzt die nächsten Jahre zusammen mit Dima und Dang die Stütze. Aber wir brauchen Nachschub. Mal schauen, was im Nachwuchsbereich passiert.“
Für Timo Boll stehen nach dem Ausscheiden freie Tage auf dem Programm: „Eine Woche mache ich jetzt mit der Familie Ferien. Das ist nicht lange, aber das sind wir Tischtennisspieler gewohnt. Ich werde viel frei haben, wenn die Jungs international unterwegs sind. Ich kenne jetzt meinen Terminkalender. Darin ist viel Freizeit, auf die ich mich echt sehr freue. Ich will viel Zeit mit Familie und Freunden verbringen. Das Wohnmobil wird jetzt noch mehr genutzt.“
Jörg Roßkopf: „Es war mir eine Ehre, mit Timo zusammenzuarbeiten“
Bundestrainer Jörg Roßkopf zeigte sich nach dem letzten Auftritt Timo Bolls berührt: „Timo ist für den Tischtennissport ein herausragender Spieler. Der größte, den wir je hatten. Einer der ganz Großen im deutschen Sport überhaupt! Wir haben definitiv sehr gute Spieler, aber so einen Ausnahmespieler noch einmal zu bekommen, ist sehr schwierig. Die Schweden hatten mit Jan-Ove Waldner einen Spieler, der Tischtennis bei ihnen lange dominiert hat wie Timo bei uns. Es war mir eine große Freude und eine Ehre, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist ein sehr entspannter Typ.“
Teamkollege Dimitrij Ovtcharov sagte: „Timo Boll ist einer der größten Tischtennisspieler aller Zeiten. Er hat eine unfassbar lange Karriere auf diesem hohen Niveau. Alle wussten: Einer der Tage bei Olympia wird es sein, wo sein letztes Spiel auf internationaler Bühne kommt - ob heute, morgen, übermorgen. Es war hoch emotional, einmal weil wir verloren haben, aber auch weil es Timos letztes Spiel war.“ Ovtcharov lobt die menschlichen Qualitäten seines langjährigen Weggefährten: „Außer der Tatsache, dass er ein großer Tischtennisspieler ist, ist er ein sehr guter Mensch, der immer viel gibt. Wir haben viele große Spiele gegeneinander gemacht. Und wenn ich dann mal gewonnen habe, so wie beim World Cup zum Beispiel, hatte ich immer das Gefühl: Wenn der letzte Satz gespielt ist, hat er sich für mich gefreut und wir konnten danach gemeinsam Abendessen gehen. Ich habe selten Sportler getroffen, und ich kenne auch ein paar aus anderen Sportarten, die so schnell Siege oder Niederlagen einordnen und danach zur Normalität übergehen können. Timo war unser Ruhepol im Team. Wenn bei solchen Turnieren der Stress groß war, hat er immer eine große Gelassenheit und Ruhe ausgestrahlt, die immer gutgetan hat.“
Europameister Dang Qiu ergänzte: „Er gönnt jedem jeden Erfolg, ist herzlicher Typ ist. Egal wie es für ihn selbst lief, er hat es immer jedem gegönnt, der den nächsten Schritt gegangen ist oder irgendwas gewonnen hat. Als ich in die Nationalmannschaft kam, hatte er schon alles gewonnen, was man gewinnen kann. Er ist so bodenständig, so normal, so umgänglich. Er ist einfach ein toller Typ. Auch darin ist er ein großes Vorbild für uns. Man kann Timo zu so einer Karriere nur gratulieren. Es ist unfassbar, was er geleistet hat, was er für Tischtennis und den Sport im Allgemeinen bedeutet.“
Eine letzte Vorhand besiegelt Bolls internationale Karriere
Wenige Minuten vor den stehenden Ovationen seiner Fans hatte eine letzte Vorhand Bolls nur um wenige Zentimeter ihr Ziel verfehlt und die knappe 7:11, 9:11, 11:7 und 8:11-Niederlage des 43 Jahre alten Superstars gegen seinen Düsseldorfer Vereinskollegen Anton Källberg besiegelt. Das dritte Kapitel des Klassikers Deutschland gegen Schweden ließ gleichzeitig den Traum der DTTB-Herren vom fünften Halbfinaleinzug in Folge endgültig platzen. Timo Boll ließ nach dem Duell seine letzten Gedanken aus dem Match noch einmal Revue passieren: „Bei 7:9 habe ich mal kurz daran gedacht, dass es jetzt dem Ende entgegen gehen könnte. Ich habe trotzdem gekämpft und gebissen und mich nicht kampflos ergeben. Auch der Gedanke hat mich das Match nicht mehr drehen lassen. Es hat leider nicht mehr gereicht.“
Schweden sichert sich im Doppel die 1:0-Führung
Schon Bolls erster Auftritt im wichtigen Eingangsdoppel, in das die Schweden favorisiert gegangen waren, war nicht von Glück verfolgt gewesen. An der Seite von Europameister Dang Qiu unterlag Boll Anton Källberg und dem Ex-Borussen Kristian Karlsson in drei umkämpften Sätzen. Beim 10:12, 8:11 und 8:11 erwischte die DTTB-Kombination zunächst einen verheißungsvollen Start, lief aber ab Mitte des Satzes stets einem Rückstand hinterher. Boll/Qiu wehrten in dem offenen Schlagabtausch zwar bei 8:10 noch zwei Satzbälle der Skandinavier ab, der Satzgewinn und auch die beiden Folgedurchgänge gingen allerdings an das eingespielte Duo Källberg/Karlsson. Vor allem die Platzierungen des ehemaligen Doppel-Weltmeisters Karlsson stellte die Deutschen in den vielen sehenswerten Ballwechseln immer wieder vor Probleme. Symptomatisch, dass es auch Karlsson war, der das Spiel mit einem knallharten parallelen Vorhandschlag beendete.
Timo Boll sagte anschließend: „Ich bin ein Spielertyp, der immer ein bisschen braucht. Mit dem Doppel war ich überhaupt nicht zufrieden. Gegen Anton wurde es besser und besser, wobei er gut gespielt hat. Das ganze schwedische Team war sehr stark. Wir müssen respektieren, dass die anderen auch hart arbeiten, brutal aufgeholt und uns sogar überholt haben. Die Jungs müssen ohne mich noch eine Schippe drauflegen.“
Ovtcharov hat gegen Silbermedaillengewinner Möregardh den Sieg auf dem Schläger
Eine Weltklasseleistung bot Dimitrij Ovtcharov und sorgte im zweiten Spiel des Abends dafür, dass Deutschland bis zum letzten Ballwechsel auf den Ausgleich hoffen durfte. Dimitrij Ovtcharov sah in einer hochklassigen Partie gegen den olympischen Silbermedaillengewinner Truls Möregardh im fünften und entscheidenden Satz bei einer 5:1- und 6:2-Führung bereits wie der Sieger aus, musste den Schweden aber nach einer Serie an hochklassigem Punkten beim Stand von 7:7 an sich vorbeiziehen lassen. Im Showdown der Spitzenspieler war es am Ende ein Rückschlagfehler Ovtcharovs, der bei 9:10 den bitteren 0:2-Rückstand der DTTB-Auswahl besiegelte. Zuvor jedoch hatte der olympische Rekordmedaillengewinner Dimitrij Ovtcharov auch im vierten Satz den Sieg kurzzeitig vor Augen, als er gegen Möregardh nach einem 2:5-Rückstand zum 8:8 ausglich, anschließend aber den Satzausgleich des Schweden nicht verhindern konnte.
Dimitrij Ovtcharov: „Die Niederlage ist extrem bitter“
Dimitrij Ovtcharov gestand nach dem Ausscheiden: „Die Enttäuschung ist riesig. Wir sind seit Peking 2008, seit es den Teamwettbewerb gibt, gewohnt, Medaillen zu gewinnen. Jetzt haben wir im Viertelfinale mit 0:3 verloren. Das ist extrem bitter. Das Doppel lief nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Ich habe in meinem Einzel alles gegeben. Truls ist ein Wahnsinnsspieler. So eine Silbermedaille im Einzelwettbewerb beflügelt einen, bei jedem Spielstand fest an seinen Sieg zu glauben. Ich bin immer drangeblieben, habe mein Bestes gegeben und war dann im fünften Satz vorne. Punkte, die ich machen muss, habe ich leider nicht gemacht. Bälle, die ich gut gespielt habe, hat er extrem gut pariert. Da ist viel zusammengekommen. Truls hat am Ende so gut gespielt. Wenn ich das Spiel ziehe, hat Timo eine bessere Ausgangsposition und Dang war extrem gut vorbereitet. Wir haben in der Vorbereitung extrem viel trainiert und sind hier dafür nicht belohnt worden. Hätte, wenn und aber: Wir haben 3:0 verloren. Dass das letzte Spiel von Timo auf internationaler Ebene das Aus im Olympia-Viertelfinale ist, ist einfach scheiße. Wir haben sowohl in der Vorbereitung als auch hier alles gegeben, aber das haben die Schweden und die Franzosen und alle anderen auch. Diesmal war das Glück leider nicht auf unserer Seite.“
Bundestrainer Jörg Roßkopf: "Dimas Spiel war der Knackpunkt"
Nach dem Ausscheiden war bei den deutschen Herren die Enttäuschung groß Bundestrainer Jörg Roßkopf bekannte: „Im Moment steht bei uns die Enttäuschung über die Niederlage im Mittelpunkt. Wir wollten für Timo und für die ganze Mannschaft hier so weit wie möglich kommen. Wir wollten das Maximum herausholen, aber Schweden ist eine hervorragende Mannschaft und war hier perfekt eingestellt.“ Der Bundestrainer ging gleichzeitig auch in die Analyse: „Dima hat in seinem Spiel geführt. Aber manchmal läuft ein Spiel in die verkehrte Richtung. Dimas Spiel war natürlich ein Knackpunkt. Wenn man 5:1 und 6:2 im Entscheidungssatz führt und das Spiel verliert, ist das immer bitter. Wir haben aber gewusst, dass so etwas passieren kann. Wir wollten auch danach noch zurückkommen. Timo hat bis zum letzten Punkt gefightet. Anton hat aber sehr, sehr gute Bälle gespielt. Außerdem hatte Anton im dritten Spiel bei der 2:0-Führung der Schweden natürlich Auftrieb. Wir müssen den Schweden zu einem hervorragenden Spiel gratulieren.“
Roßkopf: „Wir müssen jetzt noch härter arbeiten“
Roßkopf ordnete die Niederlage ein: „Wir haben eine starke Mannschaft und versucht, die Spieler optimal vorzubereiten. Die Spieler waren auch echt gut. Wir wissen aber, dass sich das Welttischtennis verändert hat. Bei der WM sind wir im Viertelfinale ausgeschieden. Es gibt nicht mehr nur zwei, drei gute Nationen. Bei Olympia waren wir seit der Einführung des Teamwettbewerbs 2008 immer in den Medaillenrängen und waren auch insgesamt in den letzten 25, 30 Jahren immer weit vorne dabei. Jetzt gibt es viel mehr Einzelspieler und Mannschaften, die um das Podium mitspielen. Es ist für Außenstehende manchmal schwer zu verstehen, aber als Sportler ist man darauf eingestellt. Es ist immer schwierig bei EM, WM und Olympia ab dem Viertelfinale den nächsten Schritt nach vorne zu gehen. Dafür müssen wir jetzt noch härter arbeiten.“
Roßkopf weiter: „Wir müssen erst mal die Niederlage verarbeiten und dann, dass es Timos letztes Spiel war. Wir müssen jetzt einen Spieler kompensieren, der nicht zu kompensieren ist. Aber wir versuchen, das Maximum herauszuholen und wieder anzugreifen, damit wir bei den nächsten Großereignissen wieder vorne dabei sind. Aber es geht schnell weiter. Am 23. August ist der Bundesliga-Auftakt. Im Tischtennis geht es immer weiter. Morgen werden wir unsere Damen-Mannschaft unterstützen und irgendwann später Urlaub haben.“
Herren-Mannschaft
Viertelfinale
Deutschland - Schweden 0:3
Boll/Qiu - Källberg/Karlsson 0:3 (-10,-8,-8)
Dimitrij Ovtcharov - Truls Möregardh 2:3 (-9,8,7,-8,-9)
Timo Boll - Anton Källberg 1:3 (-7,-9,7,-8)
Quelle: Pressemitteilung DTTB
Beitragsbilder: (Fotos: BeLa Sportfoto)