„Drachentöter“ Patrick Franziska: „Jetzt kann ich Timo einen Spruch drücken“
Patrick Franziska hat beim WTT-Champions-Turnier in Budapest durch seinen Überraschungscoup gegen Chinas Olympiasieger Ma Long für einen der lautesten Paukenschläge des Tischtennis-Sommers gesorgt. Im Interview spricht der 30-Jährige über die Bedeutung seines Erfolgs, aber auch über seine Erwartungen für die Heim-EM in München, die Mannschafts-WM in Chengdu sowie die Ziele mit Vizemeister 1. FC Saarbrücken TT in der kommenden Saison der Tischtennis Bundesliga (TTBL).
Patrick Franziska, Sie haben Ihren Sensationserfolg über Chinas Olympiasieger Ma Long beim WTT Champions in Budapest als größten Sieg Ihrer Karriere bezeichnet. Was denken Sie mit etwas Abstand über diesen Coup?
Es ist und bleibt natürlich weiter etwas mega Besonderes, weil ich ja vorher noch nie einen Satz gegen ihn gewonnen hatte und zuletzt beim Grand Final in China völlig untergegangen war: Ein Sieg gegen einen der größten Spieler aller Zeiten, wenn nicht sogar den Größten aller Zeiten, der ja auch Olympiasieger ist, ist etwas sehr Spezielles und gibt mir auch mega viel Selbstvertrauen, weil ich jetzt auch weiß, dass ich auch gegen solch einen starken Spieler an einem Super-Tag bestehen kann.
Dimitrij Ovtcharov hat Ma Long noch nie schlagen können, und Timo Bolls letzter Erfolg gegen Ma liegt schon einige Zeit zurück – was genau lief in Budapest so gut für Sie?
Es war sicher auch das Momentum. Ich habe direkt im ersten Satz gemerkt, dass er leichte Fehler machte, halblange Bälle verzogen hat, obwohl das eigentlich sein bester Schlag ist mit der Vorhand, und sich insgesamt scheinbar nicht so wohl fühlte. Außerdem ist solch ein Best-of-five-Spiel für den Underdog meistens einfacher zu spielen als für den Favoriten, denn wenn man in einem Best-of-seven-Spiel einmal 3:2 führt, ist es immer noch ein Marathon, um auch noch den vierten Satz zu gewinnen. Aus all diesen Gründen habe ich im ersten Satz das Timeout genommen, um den Satz abzusichern. Ich habe einfach gespürt, dass er an diesem Tag schlagbar war.
In deutschen Medien war zuletzt zu lesen, Sie hätten den „chinesischen Drachen“ erlegt. Gefällt Ihnen der Ruf als „Drachentöter“?
Ehlich gesagt: Der Spitzname hat mir schon gefallen. Freunde aus Schweden hatten mir auch direkt eine Karikatur mit einem Drachentöter geschickt. Es ist schon ein cooler Spitzname, weil es ja auch noch einmal zeigt, dass es etwas Besonderes gewesen ist, gegen den „Drachen“ gewonnen zu haben.
Erfolge wie Ihrer in Budapest schrauben Erwartungen noch einmal weiter nach oben. Haben Sie sich schon darüber Gedanken gemacht, wie Sie damit umgehen möchten?
Die Erwartungen sind eh schon hoch, und die höchsten Erwartungen an mich stelle ich mir selbst. Ich habe ja auch schon in der Vergangenheit gegen den einen oder anderen Top-Chinesen gewonnen und erwarte deswegen auch von mir selbst, dass ich immer weiter Gas gebe. Natürlich würde ich am liebsten jeden Tag so spielen wie in Budapest gegen Ma Long, aber das ist im Leistungssport nicht so einfach, weil da vieles zusammenspielt. Das Schöne war, dass ich den vergangenen Monate unheimlich viele Kleinigkeiten trainiert und mit meinen Trainern hart an verschiedenen Dingen wie meinem Passivspiel oder Rückhand trainiert habe, und jetzt noch mehr weiß, dass solche Dinge im Match umso häufiger gelingen, desto akribischer und härter man daran arbeitet, gerade mein passives Spiel war in Budapest vielleicht so gut wie niemals zuvor, so dass es eine tolle Bestätigung war. Aber die höchsten Erwartungen stelle ich wie gesagt selbst an mich.
Das gilt dann vermutlich auch für die Heim-EM im Rahmen der European Championships. In München zählen Sie viele spätestens nach Budapest zum allerengsten Kreis der Favoriten. Was rechnen Sie sich für die EM aus?
Bei einer EM und gerade einer Heim-EM sind wir alle aus der deutschen Mannschaft im engen Favoritenkreis angesiedelt und wollen auf die Medaillenplätze und gerne weiter nach vorne springen. Aber Europa ist momentan so stark, es gibt so viele Spieler, ja fast schon ganze Generationen, die ganz nach vorne kommen können, ob Truls Moregard, Darko Jorgic, die anderen Schweden, die Franzosen – es gibt meiner Meinung nach viele Spieler, die es nach vorne schaffen können. Es ist schwer zu sagen, wie es am Ende ausgehen wird. Klar ist aber auch: Nach einem Turnier wie in Budapest ist das Selbstvertrauen auf jeden Fall da.
Auch im Doppel gehören Sie mit Timo Boll zu den Titelkandidaten. In der Weltrangliste haben Sie Ihr ehemaliges Idol Boll seit der letzten Juli-Woche überholt. Was macht das mit Ihnen – und sind Sie jetzt der neue Chef im Doppel?
Nein, also der Chef will ich im Doppel mit Timo gar nicht sein. Timo ist solch ein Ausnahmespieler, definitiv auch der Größte aller Zeiten in Deutschland. Bei uns gibt es solch eine Rollenverteilung nicht, wir kennen uns ja auch in- und auswendig und verstehen uns wirklich blind, was unsere guten Ergebnisse bei Olympia und bei anderen großen Turnieren davor ja auch gezeigt haben. Ich freue mich einfach immer wieder auf jedes Doppel mit Timo, besonders weil wir uns außerhalb so gut verstehen. Dass ich jetzt in der Rangliste vor ihm stehe, freut mich natürlich vor allem, weil ich jetzt auch einmal privat Timo im Spaß einen Spruch drücken kann, denn sonst bekomme ich immer einen von ihm. Das jetzt umzukehren, ist das Coolste, denn ob ich zwei Plätze vor oder hinter ihm stehe, ist nicht so wichtig, weil da ohnehin viel Bewegung ist. Wichtig ist einfach immer nur, hart zu arbeiten.
Sie stehen im Ranking als Nummer elf aber auch auf der Schwelle zu den Top 10. Was würde Ihnen der Aufstieg in diesen Elitekreis bedeuten?
Die Top 10 sind natürlich immer schon ein Riesenziel für mich gewesen, ich war auch schon ein paar andere Mal knapp davor. Grundsätzlich empfinde ich es immer als eine schöne Bestätigung, wenn man in der Rangliste nach oben klettert. Allerdings passiert im neuen System so viel, und man weiß nie so genau, wann das nächste Turnier. Eine Top-10-Platzierung würde mir aber trotzdem grundsätzlich viel bedeuten, aber wichtiger bleibt für mich, bei großen Turnieren zu spielen, gute Leistungen zu bringen und das umzusetzen, was ich trainiert habe, dann geht es auch so weit nach oben, wie es eben geht.
Wenige Wochen nach München soll im Frühherbst in Chengdu auch die Mannschafts-WM stattfinden. Hat Ihr Sieg gegen Ma Long die Karten trotz des Heimvorteils für Titelverteidiger China neu gemischt?
Ich denke nicht, dass mein Sieg gegen Ma Long für die Ausgangspositionen bei der WM in China irgendetwas ändert, außer dass Ma Long sich unser Spiel noch einmal anschaut und dann noch besser vorbereitet wäre. China ist und bleibt weiter die Macht, vor allem wenn sie mit Ma Long, Weltmeister Fan Zhendong, dem Budapester Star-Contender-Sieger Wang Chuqin oder Liang Jingkun spielen, und damit auch der ganz große Favorit. Aber wir Deutsche haben immer gesagt, dass wir weiter angreifen, und jeder Sieg gegen einen Chinesen tut nicht nur dem Einzelspieler, sondern der ganzen Mannschaft gut, weil es zeigt, dass sie an einem guten Tag für uns zu schlagen sind.
Zwischen München und Chengdu beginnt in der Tischtennis Bundesliga (TTBL) die neue Saison. Was versprechen Sie sich nach der unglücklichen Finalniederlage in der vergangenen Saison mit dem 1. FC Saarbrücken TT gegen Borussia Düsseldorf für die neue Spielzeit?
Wir freuen uns in Saarbrücken alle auf die neue Saison, weil wir ja auch mit Jin Takuya und Cedric Nuytinck zwei neue Gesichter haben, dadurch über einen breiteren Kader verfügen und Verletzungen besser als in der Vergangenheit auffangen können. Wir haben mit Cedric auch das Doppel als unsere größte Baustelle weitgehend schließen können. Insgesamt wird es eine spannende und interessante Saison, weil viele Teams aufgestockt haben. Wir werden ganz schön Gas geben müssen, um wieder ins Finale zu kommen. Aber diese Stärke in der Breite ist genau das, was der Liga gut tut.